Stricken, Häkeln und mit Wolle arbeiten. Ein Hobby wie jedes andere? | Teil 2

Hier ist nun der zweite Teil zu diesem (für mich) sehr wichtigem Thema. Nachdem ich im ersten Teil mich noch einmal ausführlichst geoutet habe, möchte ich in diesem Teil näher auf die Wirkung unseres Hobbys eingehen. Für den einen ist es 'nur' stricken und häkeln, für den anderen ist es -im wahrsten Sinne des Wortes- eine Therapie. 

Ich habe bereits im ersten Teil erwähnt, dass ich für mich selbst gemerkt habe, dass ich besonders gern stricke und häkle, wenn es mir psychisch nicht gut geht oder wenn mich irgendetwas bedrückt. Ich kann dann einfach abschalten und mich in meinen Strick-Tunnel zurückziehen. 

Die Bewegungen sind für mich die reinste Entspannung und sie entschleunigen meinen Alltag enorm. Manchmal vergehen Stunden und ich merke es nicht mal. Die immer gleichen Bewegungen sind beruhigend und lenken mich von unangenehmen Gedanken ab. Es ist sogar mittlerweile wissenschaftlich bewiesen, dass Stricken und Häkeln für uns Menschen gesund ist. Ich habe hierzu diesen Beitrag gefunden und ich finde, dass hier wirklich gut erklärt wird, was die Vorteile von Handarbeit und besonders des Strickens sind. 

Ich selbst habe keine diagnostizierte psychische Erkrankung und ich würde auch nicht sagen, dass ich depressiv bin - zumindest nicht über das normale Maß hinaus. Leider gibt es aber auch viele Menschen, die mit eben so einer psychischen Erkrankung ihr Leben bestreiten müssen und damit zu kämpfen haben. Ich hatte die Ehre und durfte mich mit der lieben Kathi ( kleinaberstrick ) über genau dieses Thema unterhalten. Sie leidet an Depressionen, Angststörungen und ist Borderlinerin. 

Kathi hat mich über Instagram angeschrieben, als ich gefragt habe, was die Handarbeit für meine Follower bedeutet. Kathi ist 28 und findet im Stricken ihre persönliche Heilung, vor allem wenn es ihr schlecht geht. Sie sagt mir, dass sie sich während dem Stricken von ihrer Angst und ihren bösen Gedanken lösen kann, weil sie sich auf etwas anderes konzentrieren muss. Es hilft ihr abzuschalten und sie nutzt das Stricken als Therapie. Sie stößt damit sogar bei Menschen auf wesentlich mehr Verständnis. Wenn Kathi eine Panikattacke bekommt, verfliegt diese durch den Rhythmus und der Gleichmäßigkeit während des Strickens. Genau diese Komponenten helfen ihr auch, wenn sie den Drang verspürt, sich selbst zu verletzen. Wenn man Depressionen hat, kann man sehr schnell in Selbstzweifel versinken und ein Erfolgserlebnis  kann dem Selbstwertgefühlt sehr helfen. Kathi kann sich vor allem an schweren Projekten erfreuen, die sie erfolgreich beendet hat und das pusht sie. Es gibt also einige Situationen, in denen Kathi aufs stricken zurückgreift, um akut etwas gegen einen schlimmen psychischen Zustand zu tun. 

Ich möchte mich an dieser Stelle bei der lieben Kathi für die Offenheit bedanken. Sie und ich möchten, dass dieses Thema publik gemacht wird und das geht natürlich nur, wenn Betroffene sich öffnen und ihre Erfahrungen mitteilen. Kathi, du bist wirklich ganz, ganz mutig und stark und bitte behalte dir das bei! 

Für Kathi bedeutet Stricken also so viel mehr, als für viele von uns. Natürlich lieben wir alle unser Hobby - gar keine Frage! Was ich dir damit aber vermitteln möchte ist, dass es für viele warscheinlich nicht einfach 'nur' ein bisschen Wolle ist. Es ist nicht nur ein bisschen stricken oder häkeln. Es ist so viel mehr für so viele von uns, aus den verschiedensten Gründen. Ich glaube, dass es sehr viele Menschen da draußen gibt, die genau aus den oben genannten Gründen stricken und häkeln. 

Ich hoffe, dass ich dir (zusammen mit Kathi) das Thema etwas näher bringen konnte. Wir dürfen nicht vergessen, dass es viele Menschen gibt, denen wir helfen und die wir unterstützen können. Du bist also nicht allein, falls es dir mal etwas schlechter geht. Wenn du in so einer Situation bist, dann nehme deine Strick- oder Häkelsachen in die Hand und wende dich an Freunde oder Bekannte. Natürlich ersetzt das keinen Arztbesuch, aber es kann dir vielleicht in einer brenzligen Situation helfen.  

Wir dürfen nicht wegsehen. Wir sind eine Community und sollten aufeinander aufpassen und Acht geben. Lieber einmal mehr hinsehen, als wegsehen und lieber einmal mehr anschreiben und fragen, wie es jemandem geht. Die Frage kann noch so banal wirken, aber für den Gegenüber die Welt bedeuten. 

Eure Tamara 

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